von Elizabeth Hanisch
Ausdruckslose Augen, einsilbige Catchphrases und Gliedmaßen, die in einer Endlosschleife sanft pendelnder Bewegungen gefangen scheinen – all dies sind typische Elemente sogenannter NPC-Performances auf TikTok. Der Begriff NPC, eine Abkürzung für non-playable character, stammt ursprünglich aus der Gaming-Kultur und bezeichnet Charaktere, die innerhalb eines Videospiels nicht von Nutzer*innen selbst gesteuert werden, sondern sich nach vorprogrammierten Skripten verhalten.1
In NPC-Videos auf TikTok nehmen überwiegend als weiblich gelesene Creator*innen wie etwa Nicki i Loczek (@loczniki) oder NYANE (@nyane) die Rolle dieser nicht spielbaren Figuren ein. In “First Date with NPC”2 oder Makeup Videos,3 die an Dress-Up Games der 2000er Jahre erinnern, bewegen sich die NPC-Performer*innen in mechanisch anmutenden Sequenzen, reagieren mit standardisierten, monotonen Phrasen und simulieren so eine durch Algorithmen gesteuerte, feminine Körperlichkeit, die die Grenze zwischen Mensch und Avatar verwischt.
Diese Form der performativen Selbstinszenierung wirft grundlegende Fragen nach den Bedingungen von Subjektivität, Verkörperung und geschlechtsbezogenen Zuschreibungen wie feminisierter Passivität im postdigitalen Zeitalter auf.

Günter Hack identifiziert die vier Geister Blinky, Pinky, Inky und Clyde im 1980 erschienenen Arcade-Spiel Pac-Man als die ersten NPCs, die im Gegensatz zum Protagonisten Pac-Man nicht von Nutzer*innen gesteuert werden können, sondern ausschließlich innerhalb der festgelegten Spielregeln und Reaktionsmuster operieren.4 Seitdem haben sich NPCs in digitalen Spielwelten stark ausdifferenziert. Sie treten mit unterschiedlichen Funktionen, Rollen und Graden an Komplexität auf und fungieren als relationale Figuren, die sich in erster Linie in Abgrenzung zu der Spieler*innenfigur bestimmen lassen und deren Spielerfahrung strukturieren. Ein prominentes Beispiel dafür bieten die Grand Theft Auto Spiele, in denen NPCs situativ auf das Handeln der Spieler*innenfigur reagieren– etwa mit Flucht, Aggression oder Gleichgültigkeit. Sie wirken zwar eigenständig, bleiben jedoch vollständig durch das Spielsystem determiniert und lassen dadurch die Sonderstellung der spielbaren Figur hervortreten.

NPCs sind somit als Figuren ohne Handlungsmacht angelegt, vollständig eingebettet in ein System, das sie nicht beeinflussen können. Die Identität der NPC-Figur entsteht negativ: nicht durch das, was sie ist, sondern durch das, was sie nicht ist – kein aktiver Hauptcharakter.5 Peter Limberg bringt diese durch Leere gekennzeichnete Identitätsformation prägnant auf den Punkt: „The NPC requires no biography or coherent story of self.”6 Die Abwesenheit eines Innenlebens, narrativer Kohärenz und jeglicher Handlungsmacht steht im deutlichen Kontrast zu Subjektvorstellungen im Gefolge von Humanismus und Aufklärung, die das Subjekt als autonomes, vernunftbegabtes Wesen mit innerer Kontinuität und einem gestaltenden Verhältnis zur Umwelt betrachten. Stattdessen suggerieren NPCs ein verändertes Verständnis von Subjektivität.
In ihrem Buch Posthuman Knowledge konzipiert Rosi Braidotti einen alternativen Subjektbegriff, der sich nicht durch ein abgeschlossenes Inneres, sondern durch die Verflechtung mit digitalen, materiellen und affektiven Netzwerken konstituiert.7 Hervorgerufen wird diese Revision durch die veränderten Bedingungen der postdigitalen Gegenwart, in der sich die Grenzen zwischen Online und Offline, Mensch und Maschine sowie Technischem und Organischem auflösen. Kim Toffoletti schreibt: „The posthuman emerges by interrogating what it means to be human in a digital age.”8 Posthumane Subjektivität entsteht also nicht trotz, sondern aus der Krise des Menschlichen heraus – als Effekt der Auseinandersetzung mit den veränderten Voraussetzungen von Identität, Körperlichkeit und Agency unter postdigitalen Bedingungen. Daraus geht eine Form von Subjektivität hervor, die durch Medialität strukturiert, affektiv aufgeladen und technologisch vermittelt ist.9

Vor diesem Hintergrund lässt sich die Figur des NPC auf TikTok als exemplarische Verkörperung posthumaner Subjektivität lesen. Creator*innen wie Nyane oder Nicki i Loczek präsentieren sich in Rollen, die zwar von organischen Körpern ausgeführt werden, deren Bewegungen jedoch algorithmisch gerahmt, deren Sprache automatisiert und deren affektive Reaktionen vorgeformt und entpersonalisiert erscheinen. In NPC-Performances wird nicht mehr klar zwischen ‚Realweltlichem‘ und ‚Virtuellem‘ unterschieden, beide Ebenen sind gleichzeitig wirksam und greifen ineinander. Die NPC-Figur agiert nicht als in sich geschlossene Instanz, sondern als Assemblage – ein Begriff, der in der posthumanen Theorie verwendet wird, um komplexe, dynamische Geflechte zu beschreiben, in denen Körper, Technik, Kultur und Medien mit‑ und ineinander wirken. Als solche Assemblage setzt sich die NPC-Figur in Performances auf TikTok aus einem Gefüge aus biologischem Körper, internetkulturellen Skripten und digitaler Infrastruktur zusammen – stets fragmentiert, relational und ohne festen inneren Kern.
Auffällig ist dabei, dass die Mehrheit der NPC-Creator*innen auf TikTok weiblich gelesen wird. Dies ist kein Zufall, sondern lässt sich auf die tief verankerte Verbindung zwischen weiblich konnotierter Passivität, Technologie und Gender zurückführen. Bereits im 19. Jahrhundert treten in der Literatur weiblich codierte Figuren auf, die als mechanisch steuerbare und affektiv programmiert inszeniert werden und sowohl männliches Begehren als auch Schrecken hervorrufen, etwa die Puppe Olympia in E.T.A. Hoffmanns Der Sandmann.10 Diese Darstellungen schreiben dem weiblichen Körper nicht nur Passivität zu, sondern entziehen ihm zugleich Autonomie, indem sie ihn als Projektionsfläche für männliche Kontrollfantasien inszenieren. Weiblichkeit erscheint darin als etwas, das nicht selbst handelt, sondern programmiert wird, als Oberfläche, die reagiert, ohne zu agieren. Zusätzlich dazu wird das Menschliche als männlich kodifiziert. Aus humanistischer Perspektive liegt der Kern des vernunftbegabten, männlich kodierten Subjekts in der Domäne des Geistes und grenzt sich damit deutlich vom Körperlichen ab, das innerhalb dieser Genealogie dem Weiblichen zugeordnet wird. Elizabeth Grosz erläutert: „Excluded from notions of subjectivity, personhood or identity, the body becomes an ‘objective’, observable entity, a ‘thing’. By extension, woman comes to define all that is not human, fixed to a corporeal […] state.”11 Diese Verknüpfung bildet die Grundlage für die Technologisierung des weiblich gelesenen Körpers. Er wird als passives Objekt, als benutzbares Werkzeug im Dienste patriarchaler Herrschaft betrachtet.12
Die cyberfeministische Bewegung eignet sich diese Assoziation an, indem sie die vermeintliche Nähe von Weiblichkeit und Technologie umwertet und produktiv unterläuft. Technologie wird hier nicht als Instrument der Kontrolle gelesen, sondern als Raum feministischer Handlungsmacht. Donna Haraway konzipiert in „A Cyborg Manifesto” eine feministische Version der zuvor aus männlicher Perspektive fetischisierten und zugleich gefürchteten Figur des Cyborgs. In der Auflösung der Grenze zwischen Mensch und Maschine erkennt sie emanzipatorisches Potential. Die hybride Beschaffenheit des Cyborgs verkörpert ein post-dualistisches Denken, das traditionelle Kategorien destabilisiert.13 Der weibliche Cyborg steht bei Haraway für ein Subjekt, das sich nicht über Abgrenzung und Autonomie, sondern über Relationalität, Technomedialität und situierte Körperlichkeit definiert. Die Macht des Cyborgs liegt im Dazwischen, in einer prozessualen Körperlichkeit, die binäre Kategorien unterwandert und durch eine fluide, vernetzte Existenz emanzipatorische Spielräume für neue Formen von Subjektivität und Agency eröffnet.
Mit ihrer grenzauflösenden Körperlichkeit zwischen Mensch, Avatar und Algorithmus lässt sich die NPC-Figur in TikTok-Performances als zeitgenössisches, posthumanes Exemplar feminisierter Technologie lesen, in der möglicherweise auch ein Potential für feministische Subversion stecken könnte. Bogna Konior erklärt: „We are experiencing the inhuman or posthuman version of cyberfeminism, where patriarchy—by relegating women to the status of machines, objects, or NPCs—accidentally creates an unpredictable and potent affinity between women and technology. As we are accelerating into the era of machine intelligence, this relationship is becoming more apparent and, paradoxically, destabilizing to the patriarchal order.”14 Obwohl NPC-Performer*innen mit ihren maschinellen Bewegungen und wiederholten, einsilbigen Catchphrases durchaus als Ausdruck patriarchaler Vorstellungen des kontrollierbaren, weiblichen Technokörpers betrachtet werden können, lässt sich in ihrer inszenierten Passivität auch eine gewisse Ambivalenz verorten. Wenn weiblich gelesene Körper im postdigitalen Kontext als zu kontrollierende, technologische Objekte betrachtet werden und wenn posthumane Existenz mit der Auflösung des kohärenten Subjekts einhergeht, warum dann nicht einfach ein NPC werden?
Unter den Bedingungen des Plattformkapitalismus, der vom Subjekt permanente Verfügbarkeit, stete Verbundenheit und kontinuierliche Selbstoptimierung ebenso verlangt wie Selbstkontrolle, Produktivität und Resilienz, muss Identität zugleich authentisch wirken und kommodifizierbar sein. Vor diesem Hintergrund kann die Vorstellung einer passiven Existenz paradoxerweise als befreiend erscheinen.15 NPC-Creator*innen, die sich mit leerem Blick vor der Kamera präsentieren, verzichten nicht nur auf die Vermittlung einer „authentischen Identität“, sondern weisen zugleich Vorstellungen von Innerlichkeit als Grundlage des Selbst zurück. NPCs existieren nur innerhalb der Funktionslogik des Spiels und können, anders als der Hauptcharakter, nicht aktiv intervenieren. Robert Bolton beschreibt diesen Zustand als wohltuende Unterbrechung des Selbstinszenierungszwangs.16 Für ihn liegt im NPC eine Form der Entlastung, die sich der Erwartung einer produktiven Selbsterzählung verweigert und damit ein alternatives, realistisches Modell anbietet.
Wichtig ist dabei hervorzuheben, dass die Annahme des NPC-Status selbstverständlich nicht von den Einschränkungen des Plattformkapitalismus befreit ist. Vielmehr werden Bedingungen sichtbar gemacht, indem die Illusion eines autonomen, kohärenten Selbst durch die enge Verflechtung von Subjekt, Körper, Technologie und Plattformlogik innerhalb der NPC-Assemblage aufgehoben wird. NPC-Performanz ist daher weder ein inhärent emanzipatorischer noch ein vollständig unterwerfender Akt, sondern lässt sich als Ausdruck der Funktionslogik postdigitaler Existenz verstehen.
Alex Quicho hebt in ihrem Essay „Everyone is a Girl Online” hervor, dass gerade dieses scheinbar passive Funktionieren nicht nur restriktiv, sondern auch erkenntnisfördernd sein kann.17 Indem die digitale Weiblichkeit ihre Konstruktion offenlegt, kann ein anderes Verhältnis zur Verkörperung entstehen. NPC-Performances machen postdigitale Dynamiken erfahrbar, ohne sie zu unterlaufen, und legen dadurch offen, wie sich Gender und Agency innerhalb einer kommerzialisierten Onlinekultur formieren.

Anders als der Cyborg des Cyberfeminismus, der als techno-optimistische Figur explizit feministisch angeeignet wurde und lautstark widerständig auftritt, um den hegemonialen Code aufzubrechen, ist die NPC-Figur sanfter, leiser, uneindeutiger – und somit Ausdruck einer Haltung, die zwischen technologischem Determinismus und Optimismus schwebt und sich nicht entschieden zuordnen lässt. Während Haraways Theoretisierung des Cyborg gezielt die Grenzauflösung zwischen Mensch und Maschine zur feministischen Strategie macht, bleibt die Verortung des NPCs vage. Zwar wird auch hier eine posthumane Subjektform verkörpert, doch wirkt diese zugleich stärker fragmentiert, entpersonalisiert und eingebettet in die Logiken des Plattformkapitalismus. NPCs auf TikTok erscheinen nicht als offensichtlich kämpferische Subjekte, sondern als Figuren, deren Passivität ebenso Ausdruck empfundener Ohnmacht wie taktischer Selbstentlastung sein kann. Sie wirken mitunter komplizenhaft mit den Bedingungen, denen sie unterliegen – nicht als bewusste, schallende Kritik, sondern als ruhige Resonanz auf eine postdigitale Realität.
Ob sich aus dieser Position ein vergleichbares subversives Potenzial entwickeln lässt wie beim Cyborg, bleibt ungewiss. Vielleicht liegt gerade in der Ambivalenz der NPC-Figur eine besondere Qualität: Durch stille Sichtbarmachung zeigt sie uns womöglich „how to move with the trap until we can achieve the correct conditions for escape.”18 Wenn wir alle in automatisierten Endlosschleifen entpersonalisiert und non-playable werden, ist irgendwann vielleicht Game Over.
- Vgl. Günter Hack: NPC and Me: How to Become a Non-Player Character, in: Beat Suter, Mela Kocher, René Bauer (Hg.): Games and Rules: Game Mechanics for the ‘Magic Circle’,Bielefeld 2018, 293–298, 293. ↩︎
- Nicki i Loczek: First Date with NPC, TikTok, 6.7.2022, vt.tiktok.com/ZSB38qn9X/ (15.7.2025). ↩︎
- Vgl. NYANE: Let’s Do My Makeup, TikTok, 4.2.2024, vt.tiktok.com/ZSB38bq2E/ (15.7.2025). ↩︎
- Vgl. Hack: NPC and Me, 293. ↩︎
- Vgl. Robert Bolton: The NPC: An Unplayable Character for Unnarratable Times, Newest.co, 2024, newest.co/stories/the-npc-an-unplayable-character-for-unnarratable-times (26.6.2025). ↩︎
- Peter Limberg: The NPC: Subjugating or Emancipating?, Less Foolish (Substack), 4.9.2024, lessfoolish.substack.com/p/the-npc-subjugating-or-emancipating (26.6.2025). ↩︎
- Vgl. Rosi Braidotti: Posthuman Knowledge, Cambridge 2019, 33. ↩︎
- Kim Toffoletti: Cyborgs and Barbie Dolls: Feminism, Popular Culture and the Posthuman Body, London 2007, 13. ↩︎
- Vgl. Braidotti: Posthuman Knowledge, 33. ↩︎
- Vgl. E. T. A. Hoffmann: Der Sandmann. Studienausgabe: Paralleldruck der Handschrift und des Erstdrucks (1817), Stuttgart 2018. ↩︎
- Elizabeth Grosz, zit. nach Toffoletti: Cyborgs and Barbie Dolls, 19. ↩︎
- Vgl. Yvonne Volkart: The Cyberfeminist Fantasy of the Pleasure of the Cyborg, in: Claudia Reiche, Verena Kuni (Hg.): Cyberfeminism. Next Protocols, New York 2004, 97-117. (Ein PDF des Texts findet sich hier: https://vnsmatrix.net/wordpress/wp-content/uploads/the-cyberfeminist-fantasy-of-the-pleasure-of-the-cyborg-yvonne-volkart-cyberfeminism-next-protocols-claudia-reiche-and-verena-kuni-eds-2004.pdf). ↩︎
- Vgl. Donna J. Haraway: A Cyborg Manifesto: Science, Technology, and Socialist-Feminism in the Late Twentieth Century, in: Donna J. Haraway: Manifestly Haraway, Minneapolis 2016, 5-66, 65. ↩︎
- Bogna Konior, zit. nach Alex Quicho: Everyone Is a Girl Online, Wired, 11.9.2023, wired.com/story/girls-online-culture/ (11.7.2025). ↩︎
- Vgl. Toffoletti: Cyborgs and Barbie Dolls, 16. ↩︎
- Vgl. Bolton: The NPC: An Unplayable Character for Unnarratable Times. ↩︎
- Vgl. Quicho: Everyone Is a Girl Online. ↩︎
- Ebd. ↩︎